Neulich traf ich einen Mann, der am Kuhdamm nach Flaschen in den Mülleimern schaute. Er schlurfte an H&M vorbei an einem sonnigen Morgen und war fast verwirrt, als ich ihm etwas geben wollte.
Er war mein Alter, zartes Gesicht mit braunen Locken, etwas gebückt vom Leben, und ganz ehrlich und überrascht fragte er mich: Warum? Ich war ebenso überrascht. Warum?! Ich sagte es ihm, es lief auf eines hinaus: Weil er mir heilig ist.
Er war fassungslos, wir freuten uns zusammen und als ich davonradelte, betete ich, dass diese Hoffnung in ihm nie verlischt, zu wissen, dass er mir und jedem heilig sein sollte, er, ein kostbarer Mensch.
Ich kam da übrigens gerade aus dem Sportstudio, wo ich trainiere hartnäckig Leute zu begrüssen. Ich habe noch keinen einsameren Ort in Berlin gefunden als zwischen den Maschinen. Wahrscheinlich haben die meisten an diesem sauberen und freundlichen Ort, an dem man sich wahr machen kann, ähnliche Selbstwertprobleme wie ich. Haben könnte. Hatte, meine ich.
Bei unserer Kreuzberger Sharehaus-Grüssoffensive im Sommer hat fast jeder überrascht aber freudig zurückgegrüsst, den wir auf der Strasse vor dem Laden angesprochen haben, und heute grüssen viele der Nachbarn zuerst. Im Sportstudio lächelt nur jeder Fünfte. Die anderen sind sich nicht ganz klar, was ich wirklich von ihnen will. Oder ob ich sie nicht mit jemand Wichtigen von den Fashion- und Red Bull-Videos an der Wandschirm verwechsle. Der sie nicht sind.
Elke und ich haben viel mit anderen geredet seitdem wir aus Südafrika zurück sind. Oft über Glauben, und selten war da Klarheit. Jeder redet eigentlich von etwas anderem, meist von seiner Vorstellung. Ich glaube, wir müssen lernen Jesus in jedem Menschen zu begegnen. Über Religion können wir uns andermal streiten. Nö. eigentlich nicht. Schnarch. Bedingungslos Lieben lernen interessiert mich. Wie sieht das eigentlich aus? Wenn echte Liebe im Kleinen wie im Grossen die Welt verändern kann, was müssen wir alle dann noch lernen? Vor allem voneinander lernen?
Neulich trafen wir uns mit Philipp Ruch nachdem wir auf einer Podiumsdiskussion zusammen aufgetreten waren. Elke. Das war zum Martin Luther King Jr. Tag, der schrecklich daneben ging, weil die Moderatorin nicht klarkam mit der Idee, wir Milchgesichter könnten eine “schwarzes Thema” verstehen. Autsch.
Philipp und seine Freunde haben gerade wieder eine genial schlingensiefsche und unperfekte Aktion gestartet mit Politicalbeauty.de, die den Finger auf die Wunde legt. Warum wollen wir nicht lernen, Flüchtlinge zu lieben? Festung Europa. Und auch hier wieder: Sehr, sehr viele Deutsche und Ausländer wie ich würden sofort und gerne und bedingungslos Flüchtlinge bei sich aufnehmen und sich um sie kümmern. Würde die Regierung sie reinlassen oder nicht in Aufnahmelagern festhalten wie unseren Musikerfreund Mohammad aus Syrien, der seit Wochen in einer Kaserne und manchmal in einem Hotel in Eisenhüttenstadt mit seiner Frau lebt, obwohl er bei uns im Sharehaus unterkommen kann. Aaaahh! Oh, so einiges muss sich ändern im schönen Deutschland. Und so vieles ist schon ganz richtig.
Was ist heilig? Eine Frage, die mich gerade mit dem Sharehaus immer mehr beschäftigt. Paulus nennt in seinen Briefen übrigens jeden in den frühen Kirchen heilig. Auch die, die es völlig vergeigen, betrügen, lügen, neiden, und wachgerüttelt werden müssen. Er nennt jeden heilig, der begriffen und akzeptiert hat, dass Jesus Gottes radikale Liebesoffenbarung für uns ist, an uns, die wir ihm immer kostbar sind. Glaube ist deswegen übrigens weniger an Gott zu glauben, als daß Gott an uns glaubt. Aber wie sage ich das meinen fremden Freunden im Studio für angewandt sexy Bauchmuskeln?
Grüssen, Grüssen, Grüssen! Und Umarmen will ich auch einige, aber das könnte in Tränen enden, Angstschreien und unkontrolliertem Gelächter. Das wird dann gefilmt.
Am Sharehaus hing lange draussen eine Tafel mit der Frage: Was ist mir heilig? Leute, die vorbeikamen, schrieben:
Meine Familie, Ruhe, Ruhe, Silence, Freunde, Wochenende, Gesundheit, Gott, Liebe, Truth, Schönheit, Leben, Loyalität. Letzteres wieder durchgestrichen, vielleicht hat jemand doch nicht gewagt so viel zu fordern. Sehr private Themen. In Südafrika wären das weit sozialere gewesen: Gerechtigkeit, Gleichheit, Anerkennung, Wertschätzung, Chancengleichheit, Gastfreundschaft, Grosszügigkeit, Wahrheit.
Ja, ich weiß, wir können von Afrika lernen. Meine Rede. Wir können von afrikanischen, palästinensischen, syrischen Flüchtlingen lernen. Vor allem was Heiligkeit angeht. Die ist weit sozialer als wir denken.
“Kann man ohne Gott ein Heiliger sein, das ist das einzig wirkliche Problem, das ich heute kenne.” Albert Camus
* For our mostly English speaking friends: You are holy to me. Learn from refugees, fill your days with acts of random kindness – and this story is way to long to translate. Wait till our still unknown but holy young assistant comes to help out here at the Sharehaus, then all that social networking and presenting will be very snazzy, funky and international. I hope. Because we is. Are. I mean.