engl. und deutsch
Als Jean und Mohamed wieder im Sharehaus arabische Lieder spielten spürte ich diesen freudigen Schmerz. Zwei Freunde aus Syrien, der eine aus christlicher, der andere aus muslimischer Familie, und beide spielten Liebeslieder in Zeiten des Krieges. Sehnsucht. Sehnsucht nach der Fülle des Lebens, dem Rausch der Liebe, der Stille im Hoffen. Und Trauer. Ein Land, eine Kultur, Damaskus, die älteste noch bewohnte der Stadt der Erde, zerstört. Ein Seufzen. Ein Gebet. Wiederauferstehung.
Auf Jean’s Facebookbildern aus der Zeit vor dem Krieg spielt er westliche Musik für Botschaften, U2, Bob Dylan, Pink Floyd, und er lacht. Wenn wir uns hier in Berlin sehen, lacht er auch, wir lachen viel zusammen, aber es ist, als wäre das Herz weiter. Als wäre es weiter durch Liebe, und durch durch Trauer.
Ich konnte Trauer nie ausstehen. Ich meide Begräbnisse, sie sind mir unerträglich. Ausser sie sind Freudenfeiern, bei denen getrunken und gegessen, gescherzt und getanzt wird, und am Ende noch der Tote wiederaufersteht. Aber noch auf keiner Einladung zu einer Trauerfeier wurde das je so angekündigt. Auf keiner, zu der ich eingeladen wurde. Da ist was Falsches in der Art wie der Tod zu ernst genommen wird. Abgesehen davon, traurig sein macht mich meist lachen. Ich kann es nicht erklären. Und das wäre blöd auf einem sehr sehr traurigen Begräbnis, einer der ständig lacht, kichert und kaum an sich halten kann.
Vor ein paar Tagen war ich aber plötzlich selbst traurig. Unendlich traurig. Es war geradezu eine Symphonie der Traurigkeit, die in meinem Herzen an einem grauen Samstag Vormittag in meinem warmen Bett begann. Tonangebend natürlich das Cello und der Bass. Oh weh. Hatte mich seit dem Weltschmerz meiner Jugend je wieder so eine solide und satte Melancholie erwischt? Warum? Lag es am Wetter? Der Weltlage? Dem Bankkonto? Der Liebe? Oder war vielleicht der Herbst Schuld, dieses eisige Grau vor den Fenstern Anfang Dezember und dass es um drei Uhr Nachmittags schon wieder dunkel wird, als wäre die Sonne zu erschöpft zu scheinen?
Freunde, ganz ehrlich, wenn mir jemand sagt, es geht ihr oder ihm nicht gut wegen dem Wetter, dem kommenden Tief, dem unerträglichen Hoch, der gefühlten Temperatur, denke ich, ab ins Pflegeheim. Klar, Umberto Eco behauptet unsere Hochkultur fusst auf der Tatsache viel Zeit drinnen verbringen zu müssen. Als hätten Völker, die gerne draussen sind, keine Kultur. Trotzdem: Das Wetter. Elke sagte neulich wie eine traurige russische Dichterin: Alles stirbt. Und dann zeigte sie kraftlos auf die letzten gilben Blätter an den Bäumen. Quatsch! Das Leben ist so was von satt und fett und alles leuchtet! entgegnete ich ihr wie Ishmael aus Moby Dick es getan hätte. Zwei Tage später traf mich die Trauer mit voller Breitseite.
Was war passiert? Waren es Jean’s und Mohamed’s Lieder gewesen, war es der Herbst, waren es der Tod und der Krieg, der hier und da die Reihen lichtete, oder waren es der Weihnachtsrummel plus der grattelige Nachbar, der Beschwerdebriefe schrieb, weil er mehr Liebe wollte?
Nach zehn Jahren an der Spitze Afrikas, wo es durchaus kalt und grau sein kann, habe ich in meiner alten Heimat Berlin wieder die gute wohlbekannte Melancholie entdeckt, die einen satt einhüllt und gar nicht unzufrieden grübeln und traurig sein lässt. Und dankbar erkannte ich, dass es gar nicht so schlecht ist mal zu trauern. Ich spreche nicht von Jammern. Ich spreche von einem gütigen Gefühl anzuerkennen, das so einiges in der Welt furchtbar ist und danebengeht. Wenn ich die Augen zumachte, fühlte es sich an wie zutiefstes Mitgefühl mit der Schöpfung an, da wo meine manchmal oberflächliche gute Laune nicht hinkam. Eine Trauer wie ein Liebeslied, das alles will, Ekstase, Strom des Lebens, Freude, Sinnlichkeit, kostbaren Frieden, und gerade deswegen von dem Schmerz singt, weil so einiges davon im Moment nicht möglich ist. Hach.
Nach zwei Tagen machte ich wieder Witze. Ja, Auskosten das Leben. Tiefe ausschöpfen, dem Atem der Welt lauschen. Stille. Immer wieder schön. Und Hach, die Vergänglichkeit darin, ja ja. Aber was die angeht halte es mit James Bond. Hobby? Wiederauferstehung.
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When Jean and Mohamed played Arab Songs at Share House again, I felt this joyful pain. Our two friends from Syria, one from a Christian, the other from a Muslim family, both played love songs in times of war. Longing. Longing for the fullness of life, the intoxication of love, the silence of hope. And grief. A country, a culture, Damascus, the oldest inhabited city on earth, destroyed. A sigh. A prayer. Resurrection.
In Jean’s Facebook pictures from before the war, he plays Western music for embassies in Syria, U2, Bob Dylan, Pink Floyd, and he laughs. Now when we meet in Berlin, he laughs too, we laugh a lot together, but it’s as if our hearts have become wider. Through love, and through grief.
I could never stand grief. I avoid funerals, they are unbearable. Unless they are joyful celebrations, where people drink and eat, joke and dance, and the dead is resurrected at the end. But I never got an invitation to such a funeral, or any that was ever so announced. There’s something wrong in the way death is taken too seriously. Apart from that sadness makes me laugh. I can not explain it. Picture a very, very sad funeral, and me who constantly laughs, giggles and can hardly contain himself.
A few days ago I was hit with sudden sadness. I was infinitely sad. What hit me was a veritable symphony of sadness that began in my heart on a gray Saturday morning in Had there been since my youth Weltschmerz days ever such a solid and deep melancholy? Why? Was it the weather? The world situation? My bank account? Love? Or was perhaps the autumn, this icy Gray in front of the windows in early December when it gets dark again by three clock in the afternoon, as if the sun was too exhausted to shine?
Friends, quite honestly, if someone tells she or he does not feel good because of the weather, the upcoming low, the unbearable high, the felt wind chill, I think, get them to a nursing home. Sure, Umberto Eco claimed our civilisation is based on the fact of having to spend a lot of time indoors. As if people who like to be outside, have no culture. Nevertheless: The weather. Elke said the other day like a sad Russian poet: Everything dies. And then she pointed faintly at the last yellowing leaves on the trees. Nonsense! Life is full and fat and everything is illuminated! I would have answered her like Ishmael in Moby Dick. Two days later sadness hit me like a wall of bricks.
What had happened? Had it been Jean’s and Mohamed’s songs, was it autumn, or death and war, claiming beloved lives here and there, was it the shopping Christmas frenzy plus the grumpy neighbour who wrote letters of complaint because he wanted more love?
After ten years at the Southern tip of Africa, where it can be quite cold and gray, I found good old melancholy again in my old home Berlin, fat und fully wrapping me and not at all in a way sad. And grateful I realized that it’s not so bad to mourn sometimes. I am not speaking of whining or complaining. I am speaking of a graceful sentiment acknowledging that so much is terrible in the world and so much goes wrong. When I closed my eyes, it felt deepest sympathy with creation, a depth my sometimes superficial good mood could not reach. Sadness like a love song that wants it all, ecstasy, the stream of life, joy, sensuality, precious peace, and because it longs for it, it sings of the pain, as so much of it is not possible at the moment. Sigh.
Yes. After two days I made jokes again. Sure, savoring life, the depth of our being, and listening to the breath of the world. The Silence. Beautiful! And futility, sure, everywhere. But regarding that I keep it with James Bond. Hobby? Resurrection.