Ein Fest

Ajmal mag Hunde, sagt er. Er und Murtaza laden mich ein in der Küche im Refugio mit ihnen zu essen. Lamm und Reis. Beide haben den ganzen Tag gefastet während Ramadan. Zwischen 10 und halb drei Uhr morgens wird gegessen und Wasser getrunken.
Ajmal ist monatelang von Afghanistan bis nach Berlin gelaufen, manchmal gefahren. Ein lange Geschichte. Familie? Ja. Auch eine lange Geschichte. Er lacht. Kann man nicht mal eben so erzählen, es ist noch ganz frisch. Und wir wohnen erst seit 2 Wochen zusammen im Refugio. Hier sind alle Suchende. Vor allem Ankommende.
Mein Freund A., der für deinen Glauben verfolgt wird, kommt in Schritten an. Er hat sehr viel zurückgelassen, Frau, Kinder, Arbeit, Familie. Mehr als nur ein Leben. Über Monate wandert das vom Kopf in den Bauch. Er nimmt alles mit Fassung, und dann, immer wieder Tränen, Freude, Erschöpfung, Verzweiflung. Lachen. Da ist ein weiter Weg zwischen Begreifen und Begreifen.
Denke in letzter Zeit oft an den Film: Things we lost in the fire. Mit Halle Berry. Wir begreifen, dass wir in diesem Leben vieles verlieren, aber wir fühlen es oft nicht in aller Tiefe.
Mir fällt auch wieder unsere Konzert mit Sarah Brendel und Moritz Brümmer ein, als der Satz im Raum stand: Ein Brunnen voller Tränen, und ganz unten die Freude.
Als Ajmal sagt, er mag Hunde, denke ich wieder an unseren Hund, der neulich gestorben ist. Ich denke oft an Jet, wenn ich Hunde sehe. Eine Frau radelt vorbei mit einem schönen Hund im Korb vorne, ich denke an Jet. Das Paar nebenan spielt im Hof mit ihrem jungen Boxer. Ich denke an Jet.
Jet, die Kanone. Mit Jessi, der Jack-Russel Hündin holten wir ihn vor 10 Jahren im Tierheim in Südafrika ab. Beide jung und angefahren. Wir geflohen aus Deutschland. Eher aus innerer Not. Aus Durst nach Leben. 10 Jahre blieben wir, ein Leben. Ein ganzes Hundeleben, wurde mir neulich klar, als Jet starb, dieser schöne und treue Freund, der Löwenjäger und Townshiphund, der den Robben im Hafen immer erstaunlich ähnlich sah.
Die Kinder wollten Hunde. Und Katzen. Wir lebten mit einem kleinen Zoo über die Jahre. Einem glücklichen Zoo. Aus den menschlichen Zwergen wurden große schöne junge Menschen, und am Ende hatten Jet und Jessi graue Haare. Nur die Katzen schienen zeitlos jung.
Jet und Jessi. Beide gute Wachhunde. Die braucht man auf dem Land, im Vorort, wo auch immer wir über die Jahre hinzogen. Jessi baute sich gerne ein Lager aus Schuhen, legte sich zu den Kindern ins Bett, wälzte sich in seltsamen Gerüchen und setzte sich am Strand zu wildfremden Leuten, als gehöre sie zu ihnen. Kamen wir von einem langen Spaziergang zu den Dünen zurück, sahen wir Jet vor uns die langen Kelpalgen schütteln und zerbeissen, aber Jessi sahen wir manchmal nicht. Dafür Leute auf Picknickdecken oder Surfer neben ihren Brettern, und ein Hund neben ihnen, der uns freundlich ansah und genauso aussah wie … Erst wenn wir sie riefen, kam sie angetrottet und wir waren nie sicher, ob sie nicht eines Tages mit einer Familie durchbrennen würde, die mehr Würstchen aß.
Die Hunde waren wild. Sie jagten jede Katze, rannten in fremde Häuser, Jet sprang über 2 Meter hohe Mauern und wir beeilten uns, damit uns keiner sah, wenn er wieder auf der andern Seite der Gärten auftauchte. Er tat keinem was, er war einfach nur unverschämt und neugierig. Und voller Energie. Manchmal fuhren wir in unserem alten, maigrünen BMW am Meer entlang und liessen ihn hinterherrennen. Er machte knapp 45 Stundenkilometer, und wenn wir schnell genug fuhren, bellte er auch keine anderen Hunde an. Dieser Blick. Im Rückspiegel die Gesichter der Spaziergänger, dann dieser Blitz, der an ihnen vorbeischoss.
Jessi zog die Klippen vor. Auf den steilen Felsen von Hermanus kletterte sie wie eine Berggemse mit ihren kleinen Beinen und ihrem dicken Bauch. Die Dassies stiessen noch einen kurzen Ruf aus, dann rannten die Klippschliefer in ihre Höhlen. Einmal hörten wir Jessi im Innern eines riesigen Findlings bellen. Wie sie da rein- und wieder rauskam, haben wir nie rausgefunden. Wir mussten nur weitergehen, Jet und Jessi kamen immer treu hinterher. Oder Stunden später zum Haus.
Ihr Paradies war Stanford, ein schmuckes Dorf, wo sie den ganzen Tag stromern konnten und ausgetobt nach Haus kamen, wie die vielen Kinder, die durch die Strassen zogen und sich Obst von den überhängenden Bäumen pflückten.
Unsere Kinder versuchten, wie alle Kinder seltsamerweise, Hamster zu halten. Aber sie hatten nicht mit Jessi gerechnet, die die kleinen Dinger liebevoll ableckte und im Garten irgendwo in Sicherheit brachte. Unversehrt. Jessi warf auch eine Menge Welpen und Jet fand eine Menge eingesperrter weil läufiger Hündinnen, zu denen er mühelos reinkletterte. Stanford war einfach zu fruchtbar. Gutes Land, wir wenig auf Tasche, aber reich reich beschenkt.
Jessi ist tough. Sie ist bei einer alten Dame untergekommen, die sie mit Pralinen füttert. Aber als Jet starb, musste ich in der S-Bahn weinen. Erst ein Bild auf Whatsapp. Jet mit den Kindern unserer Freunde am Kaminfeuer, ein alter Kämpfer, der seine letzten Atemzüge macht.
Unsere wunderbaren Freunde, deren Kinder Jet sogar von seinem Altersausschlag geheilt hatten. Wir hatten Jet in noch bessere Hände übergeben. Hundehimmel. Und da starb er, in einem Landhaus unter der schönsten Klippe der Küste Südafrikas, begraben am Fusse eines Milkwood, am Meer, da wo die Welt noch Schönheit atmet.

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Ich weine wirklich fast nie. Einmal im Jahr, weil Männer ja nicht weinen. Südafrikanische Männer. Aber diesmal schaffte ich es kaum nach Hause. Da waren sie, die Tränen des Abschieds, und sie kommen auch jetzt beim Schreiben. Things we lost, worin auch immer. Vergangen, verloren. Jet, mein Freund, ein Mann und sein Hund. Obwohl er eigentlich der Hund unseres Sohns war. Jet und ich waren jeden Tag unterwegs gewesen. Er war mein Freund. Ein Hund, ja. Begrenzt. Aber ist es nicht seltsam wie gerade ein Hund so loyal und treu ist, so geradeheraus und herzlich?
Was mit Jet starb, war die Unschuld dieser 10 Jahre in Afrika. Diese unwiederbringliche Zeit. Die zarte Schönheit einer Welt, in der der Mensch so viel kleiner ist. Und da lagen wir als Familie und weinten zusammen auf dem Bett in Berlin, und weinten, und weinten. Wir weinten einem ganzen Leben nach, das wir zurückgelassen hatten und das mit Jet endgültig starb. Es gab kein zurück mehr.
Elke sagte, jetzt weinst auch du endlich. Ihr war der Abschied aus Südafrika schwer gefallen. Viele Tränen. Obwohl wir gerne und aus freien Stücken zurück nach Berlin kamen. Wir freuten uns! Aber der Abschied war schwer, denn es gab kein zurück. Nach Südafrika schon, aber nicht in dieses Leben.
Unter den Tränen, tief unten, die Freude. Das ist ein göttliches Mysterium, ein bezauberndes.
Ich sehe mir diese schönen und freundlichen Menschen an, mit denen wir im Refugio zusammenleben. Die fliehen mussten. Alles verloren haben. Die aus Not die Schönheit ihrer Heimat zurücklassen mussten. Der Krieg zerstört die Heimat, aber die Schönheit, sie lebt fort im Herzen.
Es ist wahr, kaum etwas von dieser Welt bleibt. Alles Lebendige stirbt, neigt sich seinem biologischen Ende zu, und doch ist da das Unsterbliche in uns, der göttliche Lebensstrom,der nie stirbt. Über Jahre begreifen wir vom Kopf hinab ins Herz den Schmerz und Verlust des Lebens, das vergeht. Und es wird nur schlimmer, je mehr wir die Schönheit der Welt um uns begreifen. Vielleicht ist das etwas, wodurch uns Gott führt, Schmerz und Freude, die sie uns ausloten lassen wollen, und die unfassbare Tiefe darin.
Gott? Zulassen? Warum all dies Leid? Die große Menschenfrage. Und auch: Warum all die Freude?
Wir sollten nicht immer warum fragen, sondern wohin. Wohin trägt uns das? Worin sollen wir wachsen, wohin über dieses biologisch begrenzte Leben hinaus? Wohin mit dem Schatz unserer tiefen Empfindungen?
Die Hölle, das steht fest, ist das Nichtempfinden, der Verlust jeder Güte und Empathie. Das gibt’s oft bei Menschen, die oft Böses erfahren haben und noch Böseres tun.
Ich weine wirklich, weil ich diese Schönheit und auch den Schmerz dieser Jahre in Südafrika nicht festhalten kann. Sie waren nicht besser oder schlechter als jetzt, sie waren nur einzigartig. Unsere Kinder gibt es nicht mehr als kleine Kinder. Unser kleiner Zoo, er ist verschwunden.
Alles vergeht, und ich bete, dass unter all den Tränen eine unsterbliche Freude ist, ein Wein, der gereift ist in unserem tiefsten Empfinden, und der niemals zur Neige geht auf dem ewigen Fest, das wir alle zusammen feiern werden.

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Ajmal likes dogs, he says. He and Murtaza invited me to eat with them in the kitchen at the Refugio. Lamb and rice. Both have fastet all day during Ramadan. Only between 10 and half past two clock in the morning eating and drinking water.
Ajmal has been walking for months from Afghanistan to Berlin, sometimes he had transport. A long story. Family? Yes. Also a long story. He laughs. Its all still fresh. And only since 2 weeks we live together in Refugio. Here we are all seekers. And we arrive at something new.
My friend A., who is persecuted for your faith, is arriving in steps. He left a lot behind, wife, children, work, family. More than just a life. For months this loss and new life migrates from the head to the belly. Tears, joy, exhaustion, despair. Laugh. There’s a long way between comprehension and real understanding.
I am often reminded of: Things we lost in the fire. With Halle Berry. We realise that we lost much in this life, but we often feel not in depth of this loss at once.
I am also reminded of our concert with Sarah Brendel and Moritz Brümmer once, when this phrase stood in the room: At well of tears, and all the way down there is joy.
As Ajmal says he likes dogs, I think of our dog who recently died. I often think of Jet when I see dogs. A woman cycling past with a beautiful dog in the basket in front, and I think of Jet. The couple next door playing in the courtyard with her young boxer, and I think of Jet.
Jet, the cannon. With Jessi, the Jack Russel lady we took in 10 years ago at the animal welfare shelter in South Africa. Both young and hurt in accidents.
We had fled from Germany. We were not forced, but we had to leave with a great thirst for life. 10 years we stayed, a life. A whole dog’s life, I thought, when Jet died, this beautiful and loyal friend, the lionhunter, and Township dog, who always looked remarkably similar to the seals in the harbor.
The kids wanted dogs back then. And cats. We lived with a small zoo over the years. A happy zoo. The human dwarfs became beautiful young people, and at the end Jet and Jessi had gray hair. Only the cats seemed timelessly young.
Jet and Jessi. Both good watchdogs. Ones you need on the countryside, in the suburb, wherever we went on for years. Jessi likeed to build a nest of shoes, she liked to sleep with the children in their beds, loved to rub in strange smells and sat on the beach with strangers, as if she belonged to them. When we came back from a long walk to the dunes, we saw before us Jet shaking long Kelp pieces, but sometimes we did not see Jessi. JUst people on picnic blankets or surfers besides their boards, and a dog next to them, who looked exactly like … Only when we called her, she came trotting along and we were never sure if she would not run away one day with a family who ate more sausages.
The dogs were wild. They chased every cat, ran into other people’s houses, Jet jumped over 2 meters high walls and we hurried along so no one could see us when he emerged on the other side of the gardens. Jet was cheeky and nosy. And full of energy. Sometimes we drove our old may-green BMW along the sea and let him run after us. He made nearly 45 kilometers per hour, and when we drove fast enough, he barked at no other dog. Funny sight in the rear window, the calm faces people strolling, then Jet the flash shot past them.
Jessi preferred the cliffs. On the steep cliffs of Hermanus she climbed like a mountain goat with her little legs and her big belly. The Dassies made a short warning call, then these hyraxes ran to their holes. Once we heard Jessi barking inside a giant boulder. We never found out how she got in or out. We only had walk on and Jet and Jessi were always following is somewhere. Or came back to the house hours later.
Stanford was their paradise. A pretty village, where they could roam all day and be happy like all the kids children who roamed the street picking all the fruits from the overhanging trees.
Our children tried, like all children, strangely enough, to keep hamsters. But Jessi lovingly licked the little things, and brought them to safety in the garden somewhere. Intact, but shocked. Jessi had a lot of puppies and Jet visited a lot of locked in dogs on heat. He just climbed over the fences effortlessly. Stanford was just too fertile. Good country, we had little in our pockets but were rich rich rich.
Jessi is tough. She’s staying with an old lady who feeds her with chocolates. But when Jet died, I cried in the S-Bahn. I saw him on Whatsapp. Jet with the children of our friends at the fireplace, an old fighter at his last breaths.
Our wonderful friends and their children, who healed Jet of his old age skin rash with loads of love. Dog Heaven. And when he died, he died in a country house under the most beautiful cliff of the South Africa coast, buried at the foot of a Milkwood tree, by the sea, there where the world still breathes beauty.
I really almost never cry. Once a year, because men do not cry. South African men. But this time I barely made it home. There they were, the tears of farewell, and they are also coming now while writing. Things, friends we lost. Jet, my friend. A man and his dog. Although he was actually the dog of our son but Jet and I had been on the road every day. He was my friend. A dog, yes. Limited. But is not it strange how especially a dog is loyal and true, as simple and sincere?
What died with Jet was the innocence of 10 years in Africa. A childhood. Oh, this deep experience of a world in which the human being is so much smaller. As a family we cried together on the bed in Berlin, we wept, and wept. We cried for a whole life that we had left behind and that had finally died with Jet. There was no looking back.

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Elke said, now your are finally crying. It was hard for her to say goodbye to South Africa back then. Many tears. Although we happyly and voluntarily returned to Berlin. But the farewell was hard because there was no turning back. To South Africa, yes, but not to this life.
Among the tears, deep down, the joy. This is a divine mystery, a beautiful one.
I am looking at this beautiful and friendly people, with whom we live in Refugio. Who had to flee. Who have lost all. They had to leave the beauty of their homeland. The war destroyed their home, but the beauty lives on in the heart.
It is true, nothing seems to last in this world. Everything living dies, drawing to a biological end, and yet there is the immortal in us, the divine life stream that never dies. It takes years from our head down into the heart to really understand the pain and loss of life. And it only get’s worse, the more we realise the true beauty of the world around us. Perhaps this is something which leads us to God, the pain and joy they want us to experience and explore, the incredible depth of it.
God? Allowing all that? Why all this suffering? The big question of mankind. And also: Why all the joy?
We should not ask why, but where to. Where does all that lead us? Wherein shall we grow beyond this biologically limited life? What to do with the treasure of our deep feelings?
Hell, that’s for sure, is not to feel loss, kindness and empathy. Happens with many people who have experienced evil and yet do more evil.
I am crying because I can not hold this beauty and the pain of this years in South Africa. They were no better or worse than now, they were just unique. Our children are no more than small children. Our little zoo, it has disappeared.
Everything passes, and I pray that beneath all the tears in this world is this immortal joy, a wine that has matured with our deepest feelings, a wine never to run out at the eternal feast we will all celebrate together.

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