Die Verwandlung

engl./Deutsch

Wir sind in der Verwandlung. Verwandlung? Ja. Einige von uns sind nicht als Käfer aufgewacht, aber verändert, denn unser Leben wird nie wieder so sein wie zuvor. Alex zum Beispiel. Alex ist endlich glücklich. Neulich wollte ihm noch keiner helfen von seinem wenigen Geld für Obdachlose zu kochen. Vor Wochen noch redeten wir darüber, ob er hier sicher ist, der IS verfolgte ihn sogar hier. Die Angst saß ihm im Nacken, er schlief schlecht, kam manchmal gar nicht erst hoch, lief mit rotgeränderten Augen herum. Jetzt steht seine Geschichte in jeder Zeitung der Welt. Alex, der Neuankommer, er ist kein Opfer der Folter mehr, keiner, dem alles geraubt wurde. Jetzt ist er der Mann aus Syrien, der die Deutschen liebt.

Wir sind ein komisches Land. Wegen diesem Hitler: ganz klein, aber doch stolz so erfolgreich zu sein: Modern, solide, beherzt. Aber alles in Maßen. Wir spenden gerne für bedrohte Robben, wir helfen afrikanischen Kindern zu Weihnachten, und wir helfen gerne Asylanten. Wenn sie nicht ständig an der Tür klingeln. Wer hilft, kann auch bestimmen wann und wie. München wünschte sich zum Oktoberfest eine kurze Flüchtlingspause, die die ungehorsamen Kriegsflüchtlinge dann nicht einhielten. Berlin sucht den Knopf, an dem die Zahl der Asylbewerber eingestellt werden kann, denn es kommen 60% mehr als die Sachbearbeiter verwalten können. Und dann kommt so ein Syrer und gibt unseren Obdachlosen Essen und Zuneigung, und er will noch nicht mal Geld dafür nehmen. Wenn jemand Geld geben will, dann soll er es an die Kirche geben.

Alex ist ein Punk, er stösst alle vor den Kopf und sie lieben ihn dafür. Seine Geschichte erinnert mich an die deutsche Künstlerin, die afrikanische Patenfamilien für einsame Deutsche suchte, oder an die “Heizkörper für Norwegen”, in denen Afrikaner Heizungen für die armen Norweger sammeln und Benefizlieder aufnehmen, damit die armen Menschen da oben nicht mehr so frieren müssen. Nur meint’s Alex ernst. Die Neonazis laufen heiss wie Hamster in ihren Rädern, Aaaahrrr! Jetzt nimmt uns ein armer Syrer auch noch die Obdachlosen weg! Aaaaaaaaahhhrg! Asylanten kaufen die umsatzarmen Läden leer statt zu klauen, sie tragen alten Leuten die Einkäufe nach Hause ohne sie reinzulegen, und unsere Frauen finden geflüchtete Männer auch noch männlicher, weil sie tanzen können und romantisch und höflich sind. Aaaaarg! Verkehrte Welt. Nichts ist wie wir dachten dass es ist!
Weihnachten ist auch so eine Geschichte! Gott wird Mensch. Aus dem, der Sterne atmet und der den Kosmos geschaffen hat, wird ein Neugeborenes in einem Stall in einer kalten Winternacht. Das ist wilder als Kafkas Traum! Ein Teenager wird schwanger, bevor sie je mit einem Mann zusammen war. Ihr Verlobter sieht und hört Engel, sie auch. Am Himmel ein Leuchten, die die Weisen aus Babylon anreisen lässt. Ein König, der alle Kinder ermorden lässt, weil Gott unter ihnen sein könnte. Gott wird dann Schreiner, sammelt auf der Strasse eine Gang zusammen, vermehrt essen, besitzt nichts, heilt alle und geht über Wasser! Es ist die abgedrehteste Serie der Welt. Und es wird noch verrückter. Als sie ihn ans Kreuz nageln, geht er auch noch die Toten trösten im Hades, er besiegt den Teufel und seine Schergen. Dann steht er wieder auf, geht durch Wände, verlangt nach Frühstück, besucht seine Freunde und sagt, er bringt allen Menschen der Welt Freiheit. Die Menschen zu Jesu Zeit waren verwirrt. Nichts war wie sie es erwartet hatten. Verkehrte Welt.

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Als Alex nach Deutschland kam, war er verloren. Sicher, aber sein Leben leer. Im Mittelmeer lag sein Gepäck, gesunken mit Hundert Seelen, die sich nicht aus dem unteren Deck befreien konnten. Er hat Schmerzen erfahren, die ich nicht kenne. Obwohl in Deutschland, fühlte er sich tot. Bis zu dem Gebet. Der Verwandlung. Gott wird Mensch, damit der Mensch seine Göttlichkeit wieder begreift. Es passiert in einer Umarmung. Gott wird ein Mensch, der Achselhaare hat, nach Schweiss riecht und Schwielen an den Händen hat. Und der mich in seinen Armen hält. Für Alex und mich war das ein erschütternder Moment der Heilung. Das Leben, die Welt, spürten wir, macht uns tot. Sie erschöpft, raubt, saugt. Das Leben ist schön, es ist groß, es ist brutal. Zuviel für einen Menschen allein. Egal ob wir gefoltert werden, oder einsam in einer Wohnung sitzen, es kommt der Punkt der Verzweiflung. Der Punkt, an dem wir erkennen, dass das Leben so, wie wir es verstehen, keinen Sinn machen kann. Wir sehnen uns nach der Verwandlung. Und die Verwandlung beginnt mit einer einer Umarmung.

“Ich habe gelernt Menschen zu berühren, anzufassen,” sagt M. “Ich bin den Menschen näher, jeden Tag umarme ich jemanden. Das ist neu für mich. Und es hat mich verändert.“ Wir sitzen um einen schönen Tisch, erzählen Geschichten, Menschen, die schon lange und jeden Tag das Andere leben, eine andere Gesellschaft, in der wir von Mensch zu Mensch da sein müssen, bis zur Erschöpfung, vor dem Lageso, in den Flüchtlingsheimen, in dem täglichen Irrsinn, den wir mit allen Neuangekommen teilen.
“Als der erste Ausreisebescheid kam, wurde mir klar, dass ich meine somalischen Freunde vielleicht verstecken muss. Und meine afghanischen Freunde auch”, sagt S. “Ich bin radikaler geworden, fürs Leben, und gegen den Tod, der meine Freunde in der alten Heimat erwartet.”
“Ich hinterfrage das alles immer wieder, dieses jeden Tag zu helfen. Ich weiss nicht ob es gut ist. Ich glaube es ist richtig. Aber wenn ich der einen Familie helfe, lasse ich drei andere in der Kälte und im Regen stehen. Ist das dann das Richtige?” J. schaut nachdenklich. Sie macht einfach. So fing es für sie an. Mit den Schlangen vor dem Lageso in Berlin, Armut und Hunger, Hilflosigkeit inmitten einer der reichsten Städte Europas. Wir sind uns einig, dass der Senat, der Staat, der wir sein sollten, in Vielem versagt hat. Versagen will. Das alte Denken und Tun schaut nur gelähmt zu, will auch nicht so richtig. Ja was denn? Was sollen wir denn noch alles für die endlosen Massen tun, die hierherfluten?
Ihr Kleinherzigen, es sind ein paar Tausend in einer Millionenstadt! Wir könnten das locker. Wir könnten weit mehr als nur helfen. Ein Satz, den ich gelernt habe zu sagen ist: “Es ist furchtbar, dass du fliehen musstest. Aber jetzt bin ich dankbar, dass du hier bist, denn wir brauchen dich hier. Wir brauchen dich sehr. Herzlich willkommen!” Danach umarmen. “Sven, nicht alle Frauen mit Hijab drücken!”. Die Umarmung ist dann trotzdem beidseitig.

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Es ist schon komisch. Die Verwandlung, die stattfindet, macht uns zerbrechlicher, aber auch schöner. Sie macht uns einfacher, und radikaler. Sie macht uns schlichter und tatkräftiger. Innerhalb von Stunden könnte man den Verlorenen helfen, die in Berlin jeden Tag anstehen nach Wochen der Flucht und Erniedrigung. Man könnte sie als Stadt umarmen und speisen, wärmen und willkommen heissen wie anderswo auch. Aber in der Hauptstadt ist die gleiche Gottlosigkeit, die schon die Machthaber zu Jesu Zeiten befallen hat. Mit viel Lärm vermeiden sie das Wesentliche, das ganz Einfache. Sie wollen sich nicht verwandeln. Altes Denken gegen neues Denken.
“Die sogenannte Flüchtlingskrise wird diese Generation beschäftigen wie Generationen früher Atomkraft, Krieg oder Umwelt. Sie wird sie prägen.” Der Satz eines klugen, ehemaligen Hausbesetzers macht mir klar, wie sehr unser Land sich verändern wird. Der Hunger nach sozialer Gerechtigkeit und Erneuerung ist nicht zu stoppen. Gerade weil er so ignoriert wird. Es ist eine Erneuerung, mit den Neuen, auf Augenhöhe.

Wir nennen es Skandal, die Boulevardzeitungen schäumen, eine Reporterin erzählt eines Nachts vor dem Lageso in der Turmstrasse im Regen, dass selbst die Presse nichts mehr bewirkt. Egal wie klar Medien die Katastrophe aufzeigen, es bewegt sich nichts. Das hätte so noch nie erlebt. Auch sie ist verändert. Wie die vielen, die da sind für die, die eine Umarmung brauchen. Und die gekommen sind, zu helfen.
Alex ist Christ, weil die göttliche Umarmung ihn verwandelt hat. Er kann sie weitergeben, er ist reich. Er braucht kein Geld, um Obdachlosen eine Freude zu bereiten. Er ist verwandelt, wie Hunderte, Tausende in Deutschland, die tun, was Jesus tat, ohne dass sie sich als Christen bezeichnen würden, den die Verwandlung hat nichts mit Religion zu tun, sondern mit der göttlichen Umarmung, der wir uns bewusst werden.

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The Transformation
We are in the transformation. Transformation? Yes. Some of us have not woken up as a beetle yet, but have changed because our lives will never be the same again. Alex for example. Alex is finally happy. The other day nobody wanted to help him to cook from his little money for the homeless. Weeks ago we talked about whether it is safe here for him, as the IS send ihm death threads even here. He slept badly, walked around with red eyes. Now is his story in every newspaper in the world. Alex, the Newcomer. He is not a victim of torture anymore, the one who lost everything. He is now the man from Syria who loves the Germans.

We are a strange country. Because of Hitler: very small. But proud to be successful in the world: Modern, solid, down to earth. But everything in moderation. We like to donate for endangered seals, we help African children at Christmas, and we’re happy to help refugees. If they do not constantly ringing the doorbell. Those who help can also determine when and how. Munich declared for the Oktoberfest a short break for refugees who did not respect that strangely. Berlin is looking for the button where the number of asylum seekers can be set, because there are 60% more than the administration can manage. And then along comes some Syrian and offers our homeless food and some love. And he does not even want to take money for it. If someone wants to give money, he says, give it to the church.

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Alex is a punk, he headbutts us gently and we love him for it. His story reminds me of an art project. A German artist connected the African foster families with lonely Germans. Or to the “Radiators for Norway”, where Africans collect heaters for poor Norwegians and sind charity songs, so that the people up there do not have suffer from the cold so much. Only that Alex is serious. He is no joke. The Neo-Nazis are running hot like hamsters in their wheels, Aaaahrrr! Now a poor Syrians takes even our homeless away! Aaaaaaaaahhhrg! And refugees don’t steal but support our shops! They help old people to get their groceries home without tricking them. And our women find those foreign men so manly because they can dance and are romantic and polite. Aaaaarg! Wrong world. Nothing is as we thought that it is!

And then Christmas! God becomes man. The one who breathes stars and who created the cosmos, he becomes a newborn in a stable in a cold winter night. This is wilder than Kafka’s dream! A teenager falls pregnant before she was even with a man. Her fiancé sees and hears angels, and she does too. In the sky a bright light that attracts the wise from Babylon. A king who murders all children, because God could be among them. But God becomes a carpenter, gathers a street gang, multiplies wine and food, has nothing, heals all and walks on water! It’s the craziest series in the world. And it get’s even crazier. When they nailed him to the cross, he went to bring comfort to the dead in Hades, he defeated the devil and his minions, then he got up again, walking through walls, asked for breakfast, visited his friends and said he brings freedom to all. The people of Jesus’ time were confused. Nothing was as they had expected. A world turned upside down.

When Alex came to Germany, he was lost. Safe, but his life felt void. In the Mediterranean was his luggage, sunken with hundred souls who could not free themselves from the lower deck. He has experienced pain I do not know. While in Germany, he felt dead. Until the prayer. The Transfiguration. God becomes man so that man understands his divinity again. It happened in an embrace. God is a person who has hairs in the armpit, smells of sweat and has calluses on his hands. And he holding me in his arms. For Alex and me, this was a shocking moment of healing. The world, we felt, can be deadening. The world exhaustes, robs us, sucks. Life is beautiful, it’s big, it’s brutal. Too much for one man alone. Whether we were tortured or lonely in an apartment, there comes a point of despair. A point where we realize that life as we understand it, can not make any sense. We long for the transformation. And the transformation begins with a an embrace.

“I learned to touch people,” says M. “I am closer to the people, every day I hug someone. This is new for me. And it has changed me.” We sit around a long, beautiful table, telling stories. People who learned to live another life, a bigger life, a life being there every day for the destitute, to the point of exhaustion, at the LaGeSo, in the refugee camps, in the daily madness, which we share with all newcomers.
“When the first repatriation order came, I realized that I might have to hide my Somali friends. And my Afghan friends as well,” said S. “I have become more radical, for life and against the death, they expect if the have to return. ”
“To help. I question it all over again everyday. I do not know if it’s good. I think it’s right. But when I help one family, I leave three others in the cold and in the rain. Is this then the right thing? “J. is looking pensive. It all began at the queues in front of the LaGeSo in Berlin, amid poverty, hunger and helplessness in one of the richest cities in Europe. We agree that the Senate, the state that we should be, has failed in many aspects. That it wants to fail. The old thinking and doing is just watching. What? What else do we have to do for the endless masses who are flooding to us?
Your small-hearted, they are few thousand in a city of millions! Easy peasy. And we could do much more than just help. A phrase I’ve learned to say: “It’s terrible that you had to flee. But now I’m grateful that you’re here because we need you. We need you very much. Welcome!” Then embrace. “Do hug all the ladies with a Hijab, Sven!” The embrace is nevertheless from both sides.

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It’s funny. The transformation that takes place, makes us more fragile, but also beautiful. It makes us straight forward and more radical. It makes us simpleminded and energetic. Within hours you could help the lost that are stranded in Berlin every day of the week. As a town one could embrace them, bring food, warm food and welcome as elsewhere. But in the capital we have the same wickedness that had befallen the leaders in Jesus’ day. With much noise they avoid the essentials, the very basic. They do not want to transform.
“The so-called refugee crisis is this generations big theme, as for earlier generations it were nuclear power, war or environmental issues. That will shape this generation.” This phrase from a wise squatter/Hausbesetzer of former days makes me realize how much our country will change. The hunger for social justice and renewal is unstoppable. Because it is ignored. We are in renewal, with the newcomers, and at eye level.

We call it a scandal, the tabloids go mad, and a reporter told me one night in front of the LaGeSo in Turm Strasse and in the rain, that even the press cannot change anything anymore. No matter how much the media show the disaster, nothing moves. She has never experienced that before. She too feels the changed. Like many who are there for those who need a hug. And who came to help.
Alex is a Christian, because the divine embrace has transformed him. He can pass it on, because he is rich. He does not need money to do something good for the homeless. He is transformed, as hundreds, thousands in Germany who are doing what Jesus did, most of them just would not call themselves Christians, as the the transformation has nothing to do with religion, but with the divine embrace, which we were made aware of.

One thought on “Die Verwandlung

  1. danke sven für diesen wundersam heilenden text- ja heilend…ich spüre freude….freiheit …gemeinschaft…..den glauben an unsere kraft ….an meine kraft ..dank dafür

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