Ich bin

Der Tag beginnt mit einer erstaunlichen Erkenntnis. Sie kam wie so vieles im Schlaf, in diesem erfrischenden Morgendämmer, wenn die Freiheit des Traums noch da ist und die menschgemachte Welt nur Flirren durch die Vorhänge.

Der Tag begann mit der erstaunlichen und erstaunlich schönen Erkenntnis, im Halbschlaf, zwischen Ruhe und Gedanken auf Lichtgeschwindigkeit, er begann mit der erstaunlichen Erkenntnis, dass das hier mein Leben ist, so wie es ist. Das einzige, welches eben jetzt gerade da ist. Und ganz gleich, was darin passiert, es ist meines, und damit das richtige. Das muss ich einfach leben, ohne Drama, ohne Weltschmerz, in diesem verrückten und lächerlichen, und auch ekstatischen Hin und Her der Welt. So wie David Bowie im Mann, der vom Himmel fiel, eines Tages erkennen muss, das isses, ich Himmelskind,  hier muss ich leben.

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Das Einfache ist so schwer manchmal. Ein Leben lang habe ich von Parallelwelten geträumt, nächtelang gelesen, die Tage verschlafen, mich verloren, betäubt und bewußtseinserweitert, und mit anderen  Menschen Lügen gelebt. Ich glaube alle Menschen leben auf ihre Weise eine Flucht vor der Welt, die gebrochen und hart sein kann und in der das Schöne so verletzlich wirkt wie ein Krokus auf einer Winterwiese.

Eisiger Wind. Die letzte Woche brachte uns einen von Crystal Meth hirngeschädigten, grölenden Nazitroll im Regionalzug von Dresden, eine halbe Portion, der versuchte einen Iraner aus dem Klo zu zerren. Beim Einsteigen hatten die Schaffner noch über ihn gelacht, am Ende musste einer von ihnen ins Krankenhaus, der Nazikampfhund hatte ihn angefallen. Kaum Zu zuhause, wieder Briefe von den windigen Anwälten, weil jemand mit unserer verlorenen und gesperrten EC Karte letzten Sommer eingekauft hat. Wie können erwachsene, studierte Menschen davon leben, dass egal wie im Recht, einige ihre Opfer einknicken und zahlen? Abgründe. Auch bei Freunden. Schläge, Alkohol, Tränen, Einsamkeit, zerbrechende Ehen. Wie ein schlechter Film. Gehen wir wirklich so leicht kaputt?

Macht die Welt noch Sinn? Der Berliner Februar ist so ein Monat, in dem man ganz schnell all das Gute vergisst, das passiert, und das Kaputte einem nackt ins Gesicht zu springen scheint. Sehe ich auch so müde aus wie die Gestalten am Kottbusser Damm? Seit wann gibt es so viele Junkies? Frisch sehen nur die jungen Gesichter der Neuberliner aus, die ihr Berlin Brooklyn bestaunen, und die türkischen Gemüsehändler, die Granatäpfel sortieren. Meine Gegendosis: Serien. Darum abends Netflix, ein Glas Wein, zwei, eine Folge, eine zweite. Serienbetäubung. Das Bedürfnis nach einer anderen starken Realität, die in sich geschlossen ist, während unsere Gegenwart oft keinen Sinn macht.

Sherlock Holmes in New York. Ich kann reinzoomen, ud wieder abschalten. Ich bin dankbar für Geschichten. Wir leben von guten Geschichten, weil Kunst uns immer eine tiefere Wahrheit offenbart. Storytelling. Wir schlüpfen in Rollen, in denen wir über unsere Wirklichkeiten hinauswachsen können, wir erweitern uns um die Leben der Anderen, wir träumen wie die Badenden von Picasso, die Hände und Füße riesig, die Körper manchmal auch, Giganten, leicht verloren in dieser Welt, als wären wir Vögel in zu kleinen Käfigen.

Ekstatik.Letzte Woche fand ich auch wieder die Chassidischen Geschichten, die Martin Buber gesammelt hatte. Mein Lieblingsbuch, vor vielen Jahren verschlungen, merke ich, wie tief es mich geprägt, nein, erweckt hat.

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“Wo bist du Adam?”  Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse und schämen sich plötzlich für ihre Nacktheit. Dann kommt Gott in der Abendkühle in den Paradiesgarten, Adam versteckt sich, und Gott ruft: “Wo bist du, Adam?” Klar weiss Gott wo Adam steckt, sonst wäre er ja nicht Gott. Was er meint: “Wo bist du gerade in deinem Leben?” Und wie der Gefängniswärter, der den weisen Rabbi in seiner Zelle nach dieser Stelle befragt, begreife auch ich wieder: “Wo bist du, Sven? Lebst du dein Leben, oder versteckst du dich?” Die chassidischen Geschichten bringen auch eine Antwort. Im Himmel werde ich gefragt: “Sven, hast du das Leben des Sven auch wirklich gelebt?”

“Ich, also…, naja, ich war lange Jean Paul Sartre, Beauvoir, jagte den weissen Wal, wurde Van Gogh, Warhol, davor war ich war Jaques Cousteau, William Boroughs, ich war meine Freunde, Gaugins Südseeschöne, James Bond, Matisse und …”

“Warst du auch Sven?”

“Manchmal, ja, aber es war nicht immer einfach.”

“Im Svensein lag dein ganzer Reichtum, denn schon vor dem Anbeginn der Zeit haben wir dich zu Sven gemacht und dir Möglichkeiten mitgegegeben und Begabungen, die du nur wenig genutzt hast.”

BÄMM! Erkenntnis. Ich glaube so werden wir auf unsere Leben zurückschauen und begreifen: Ich und kein anderer sollte und konnte mein Leben leben. Egal wie schwer,  es lag in meinen Händen. Egal wie begrenzt, als Himmelskind hatte ich darin so viele Möglichkeiten darüber hinauszuwachsen. Schluck. Keine Scham im Himmel, nur ehrliches Bedauern.

Aber ist das Leben nicht ein Spiel? Können wir nicht Rollen wechseln? Klar. Das Leben ist ein Spielplatz des Himmels. Wir sollten lachen, scheitern, und es immer wieder neu versuchen. Solange wir uns selbst nicht verlieren. Jede Kunst braucht eine Autorin, einen Betrachter. In allem muss ich Sven sein. Es ist mein Leben, meine Bürde, meine Brechung, meine Chance, mein Blickwinkel und vor allem: meine Geschichte. Und wie erstaunlich: Es ist eine befreiende Erkenntnis. Ich muss nicht ich sein, ich kann, und es ist weit reicher.

War das nicht die große Erkenntnis der Aufklärung? Der  Mensch war zur Schachfigur der launischen Mächte und zornigen Gottheiten geworden, er begehrte auf und sagte: Im göttlichen Kosmos bin ich ich. Nicht nur Teil, sondern Individuum, frei zu denken und zu handlen. Als ich. Geschaffen, einzigartig.

Wir sollten den Tag der Aufklärung feiern. ein Fest des Storytellings, der persönlichen Geschichten, die inspirieren und bereichern, ein Fest des Zuhörens.

Die Postmoderne? “Alles ist möglich.” Auch die braucht Aufklärung, denn das Ich ist keine Variable, sondern der Blickpunkt, Identität. Radikal. Ich bin nicht anders möglich. Ein Drachen fliegt durch den unendlichen Himmel, aber er wird gelenkt von einem, der sich daran freut.

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Nur wer bin ich? Dieser kleine Punkt im Kosmos. So schwach und verschwindend. So fühlen sich viele Menschen. Wer bin ich schon? Die Aufklärung war auch eine Befreiung von den Irrtümern der Religion. Heute  wollen wir immer noch Gott aussen sehen, ausserhalb von uns, von Zeit, Problemen, der Welt, als wären sie, die Göttlichen, ferne, goldene Fürsten, die alles haben, während wir nach ihrem Paradies dürsten, der Endlosschleife guter Netflixserien, überhaupt der Erlösung von uns selbst. Aber Gott ist nicht ausserhalb,  fern, wir verloren, sondern Gott ist in uns, in unserer DNA. Wir dürsten und mitten in unserem Durst erscheint der Himmelsmann, Gott als Mensch, und gibt uns zu trinken. Auch Gott ist eine Person, wir vor einer von uns, die sein Leben leben muss. Und oh Wunder. Er gibt uns lebendiges Wasser, den Strom unserer wahren Biografie. Er erweckt in uns wieder den Quell alles göttlichen Lebens, der aus unserer Mitte entspringt. Wir sind kein Staubkorn unter Galaxien. Wir sind. Gott in uns.  Und erkenne ich ihn in meinen Mitmenschen?

Gott wird zum Fluss, strömt aus unserer Mitte. Was ich lernen muss: sie zu lassen. Ich verschliesse mich der Welt so oft, aber wenn ich mich öffne, kann Gott aus mir fliessen in die durstige Welt. Er mächtiger Strom, weit stärker als Nazitrolls, windige Anwälte und Suff. Und ich wenn ich mich öffne, bin ich nie allein, dann kann ich die Herzensgeschichten der anderen hören, die dem schnellen Blick oft verborgen bleiben.

Christian fällt mir da ein. Christian Herwartz, der seit Jahren mit Menschen von der Strasse lebt und dem Jesus auf der Strasse begegnet. Was für ein schöner Mann. Christian ist für mich tatsächlich Christian. Er lebt sein schönes, verrücktes Jesuitenleben in radikaler Liebe, Trauer und Freude, und wenn ich ihn sehe, lacht er. Nicht immer, nicht gleich, aber am Ende lacht er.

•••

The day started with an amazing revelation. It came like so many things while sleeping, in this refreshing morning twilight, when the freedom of the dream is still there and the man-made world only shimmes through the curtains.

The day started with the amazing and stunningly beautiful realisation, half asleep, inbetween rest and thoughts with the speed of light, it started with the amazing realisation that my life is here and now, just as it is. The only one that just has just died there. And no matter what happens, it is my life, and therefore the right life. I have to simply live, without drama, without Weltschmerz, in this crazy and ridiculous, and even ecstatic to and fro of this world. Just as David Bowie in The man who fell from Heaven realised: that’s it, me, child of heaven, I have to live here now.

The simple seems so difficult sometimes. All my life I’ve dreamed of parallel worlds, read night after night, slept  many young years during the day, lost me, dumbed me and altered my consciousness, and lived lies with other people.

I believe all people in their own way try to escape from the world that can be tough and heartbreaking, and  beauty within that seems sometimes so vulnerable like a crocus flower on a winter meadow.

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Icy wind. The last week brought us a from too much crystal meth brain-damaged, brawling Nazi Troll in the regional train from Dresden, half my size, but trying to pull an Iranian out of the toilet. When we boarded the train personel had found him funny and just a bit strange, soon after one of them had to go to the hospital, the Nazi fighting dog had attacked him. Hardly to home, letters from these crooked lawyers again, because someone had abused our lost and reported  bank card last summer. How can adult, studied people who no matter how in the right someone is, pray on those who then rather pay out of fear? Human abyss. And then some friends. Beatings, alcohol, tears, loneliness, marriages apart. It was like a bad movie. Are we really that fragile?

Berlin in February is such a month in which you quickly forget all the good things that happened, and the brokeness seems to jump in your face. Do I also look so tired as most people on Kottbusser Damm? Since when  are there so many junkies? Only the young faces of new Berliners who admire their new Berlin Brooklyn, and the Turkish fruit grocers who stack pomegranates are looking fresh. My counter measure: series. Every evening Netflix, a glass of wine, two, one episode, a second. Serial anesthesia. The need for another strong reality that is self-contained, while our presence often makes no sense.

Sherlock Holmes in New York. I can zoom in, and out again. I am grateful for stories. We live by good stories, because art always reveals a deeper truth. Storytelling. We slip into roles in which we can grow beyond our realities, we enhance the lives of others, we dream as the Bathers by Picasso, their hands and feet enormous, the ir bodies sometimes too, giant, they look easily lost in this world, as if we were birds in too small cages.

Ekstatik.Last week I also found again the Chassidic stories Martin Buber had collected and published. My favorite book,a page turner many years ago, I realize how deeply it has affected, no, has awakened me.

“Where are you, Adam?” Adam and Eve eat from the tree of knowledge of good and evil and are ashamed of their sudden nudity. Then God comes in the cool of the evening into the Garden of Eden, Adam hiding, God calling him: “Where are you, Adam?” Sure God knows where Adam is hiding, or he would not be God. What he meant was: “Adam, where are you right now in your life?” And like the jailer who asked the wise Rabbi in his cell about this story, and I hear the question for myself: “Where are you, Sven? Are you living your life, or are you hiding?” The Chassidic stories also give an answer. In heaven I will be asked: “Sven, did you really live the life of Sven?”

“I, hmm … well, I was a long time Jean Paul Sartre, Beauvoir, I hunted the white whale, was Van Gogh, Warhol, before that I was Jacques Cousteau, William Boroughs, I was my friends, Gaugin’s South Sea Beauties, James Bond, Matisse and … ”

“Were you also Sven?”

“Sometimes, yes, but it was not always easy.”

“In Being Sven lay your whole wealth, because even before the beginning of time, we have made you unique and gave you Sven opportunities and talents that you have only used very little.”

BÄMM! Revelation. I believe we will look back at our lives and understand: Me and no one else should and could live our own lives. No matter how difficult. No matter how limited, and always as a child from heavenI We had to rise above our circumstances. A heavenly revelation, not  coming with shame, only with honest regret.

 

So life is not a game? Can not we play roles? Sure we can. Life is the playground of heaven. We should laugh, fail, and try again. As long as we do not lose ourselves. Every art needs an author, an observer, so I always have to be Sven. It’s my life, my burden, my brokenes, my opportunity, my point of view and, above all, my story. And how amazing: It is a liberating realisation. I don’t have to, but I can be fully myself, and it is far richer.

Was not that the great knowledge of the Enlightenment? Man had become a pawn the wilful powers and wrathful deities, so he rebelled, and in this divine cosmos he or she said: I am. Not only part of a whole, but an individual, free to think and act. Me, unique in the universe.

Especially in this day and age of shattered identities we should celebrate the Day of Enlightenment. A celebration of storytelling, of personal stories, a festival of listening to individual stories.

Postmodernism? “Everything is possible.” Yes, but it needs clarification, because I is not a variable, but the center, the identity. Radical. A kite flies through the infinite sky, but it is directed by the one who steers.

Me? The center? This little dot in the cosmos? So weak and negligible? So many people feel like that, as it is partially true. So who am I?

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The Enlightenment was also a revolution against the errors of religion. And today again we want to see God outside, outside of us, from time, from the problems in the world, as if the Divine were distant, golden princes who got everything while we are thirsting for their paradise of endless entertaining Netflix series and golden life all around. But God is not outside, far away, and are detached from them, lost. God is in us, in our DNA. We thirst and the middle of our thirst the heaven man, God himself appears as a human being, and gives us to drink. God is a person, facing like us his own life of impossibilities and brokeness. And surprise, surprise, from his bruised and shattered deity he gives us living water, the stream of our true biography. He awakens in us the source of all divine life again which springs from our midst. We are not a speck of dust among galaxies. We are. God in us. In each of us.

God is the river, flowing from our midst. What I need to learn: to let them flow. Often I am locking myself up in and against the world, but when I open up, God can  flow from me into the thirsty world. A mighty stream, far stronger than Nazi Trolls, corrupt lawyers and abuse. And there is more. If I am open with Him, if I am in love, I am never alone, and I am able to hear the true heart stories of others, stories we often miss.

Thinking of Christian. Christian Herwartz lived for years with people from the street and met Jesus on the road. What a beautiful man. Christian is actually for me Christian. He lives his beautiful, crazy life of a Jesuit in radical love, grief and joy, and when I see him, he laughs. Not always, not at once, but in the end he laughs.

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3 thoughts on “Ich bin

  1. ich bin – i am-guten morgen sven -von herzen dank für diesen text…..einen sonntag im ich ICHBIN

  2. Schön! ich habe heute von Richard Rohr (Hoffnung und Achtsamkeit) gelernt, dass das mit “alles ist möglich” eher die Moderne war. Postmoderne ist dann “ach, doch nicht. Vielleicht ist auch alles nichts oder so…” Sven sein ist gut! Ich mag Sven!

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